Samsung und die Kinderfrage

Korea

Samsung und die Kinderfrage

Eigentlich hatte alles ganz harmlos begonnen. Ein Treffen nach neun Jahren, ein nettes Wiedersehen. Doch dann war es ein wenig anders. Das Treffen fand statt, jedoch das Herauskommen danach fühlte sich unerwartet befremdlich an. Was war passiert?
Nennen wir die junge Frau Juna. Das ist laut baby-vornamen.de angeblich der drittbeliebteste Mädchennamen in Korea zur Zeit – nach Hannah und Marion!
Nun gut. Juna und ich haben uns 2009 in Ankara kennengelernt, als sie dort gerade ihr Austauschsemester verbrachte. Ein quirliges, viel lachendes junges Mädl mit viel Selbstbewusstsein, das vorhatte die ganze Welt zu entdecken und gern bereit zum Feiern war. Und nun stand sie vor mir, eine erwachsene Frau, in einem braunen, eleganten Kleid, schwarze Stiefel, ein Hauch von Makeup und leicht gewellte Haare – natürlich mit dem Lockenwickler, welche Koreanerin hat schon Naturlocken? Sie sieht leicht müde aus bei näherem Hinsehen, erst vor zwei Monaten hat sie ein Kind auf die Welt gebracht. Daher ist sie auch wieder zu ihren Eltern gezogen, das spart nicht nur Miete, die neuen Grosseltern sollen helfen bei der Betreuung. Das führt dazu, dass wir uns überhaupt ausserhalb des Hauses treffen können – in einem Einkaufszentrum, in dem Juna gerne mit ihren Freundin abhängt.

Noch ein Schock – abhängen in diesem riesen Kommerzpalast? Hätte das die kecke Studentin von damals auch gemacht? Wir setzen uns in ein elegantes Restaurant, natürlich alles bio. Dafür kostet es auch das dreifache meiner ersten allein eingenommenen Mahlzeit in der Stadt in einer Seitengasse. Wir reden über dies und das. Eigentlich konzentrieren wir uns auf die Gegenwart. Wo stehen wir, was machen wir? Schon in einer E-Mail hatte sie gemeint, sie sei nun verheiratet und schwanger, also “ in the next stage of life“. Eigentlich klang schon das wie ein Wettbewerb bei dem es Stufen zu erklettern gibt. Wer nicht heiratet und Kinder hat kommt also nicht weiter? Ich stelle mir selbst diese Frage, sie fragt mich nur warum ich noch nicht verheiratet sei. Für koreanische Massstäbe gilt in Bezug auf Wettbewerb ein kleines Ja. Wer mit 30 noch nicht verheiratet ist bekommt Stress. Von FreundInnen, Familie und der Gesellschaft. Nicht weil die meinten, es fehle mal wieder an einer guten Party, nein, in Korea wird nur standesamtlich, mitunter in einer grossen Halle geheiratet. Im Mittelpunkt steht dabei jedoch das Ja-Wort und danach wird noch kurz essen gegangen. Nein, Frauen sollen heiraten und dann Kinder bekommen. Dann wenn nicht anders geht bald wieder arbeiten, weil die Preise fürs Wohnen sind unglaublich teuer. Aber warum ist das so, woher kommt dieser Druck?

Das Bild der lieben, gefügigen, anhänglichen Frau wird auch im Fernsehen noch stark verbreitet. Lieblich soll sie sein, hübsch, humorvoll durchaus und etwas frech, gut gekleidet (aber nicht zu auffällig) und am besten mit grossen (europäischen) Augen. Das vermittelt unter anderem die Werbung, wo europäisches Aussehen auch bei Männern am gefragtesten ist. Frauen singen in den Clips und tun ganz viel „weibliche“ Sachen. Dennoch – so meine amerikanische Gastgeberin, die ich hier Mary nenne und ich eine Woche später kennenlerne – die Frauen heute sind schon emanzipierter. Als sie vor 20 Jahren das erste Mal in Korea zum Unterricht lebte, sassen die jungen Studierenden geschlechtergetrennt voneinander im Klassenzimmer. Nicht weil es so vorgegeben war. Nein, Koedukation war den meisten noch von der Schule unbekannt und auf der Uni setzte sich das fort. Viel zurückhaltender seien die jungen Frauen damals gewesen. Heute sitzen in ihrem Unterricht Männlein und Weiblein zusammen, arbeiten sogar bei Gruppenaufgaben gemeinsam und Frauen würden genausoviel zu Wort kommen wie ihre männlichen Kollegen. Viel habe sich getan.
Nun, auf der nächsten Ebene, wie Juna es wohl sagen würde, sieht es noch anders aus. Viel schlimmer sogar, es geht nicht nur darum dass, sondern auch wen frau heiratet. Schliesslich gehe es auch ums Versorgt-Werden durch den Mann. Daher muss er auch Geld haben.

 

Meine Han- Flussbekanntschaft, die ich wenige Stunden später machen werde, sagt er könne sich heiraten gerade nicht leisten. Er ist 41 und hat seinen gut bezahlten IT Job geschmissen, um seinem Traum, einem Medizinstudium nachzugehen. Jetzt gerade lernt er für die Aufnahmeprüfung im Februar. Er hat mich angesprochen, als ich gerade dabei war eine Brücke im Abendlicht zu fotografieren. Ob ich den Vogel daneben gesehen habe? Ja, habe ich. Ich bleibe höflich, aber distanziert, er springt bei jedem Satz einen Schritt zurück und wippt dann wieder vorsichtig nach vorn. So unterhalten wir uns eine Weile, er hüpft und grinst verlegen, meint er wäre ein guter Mensch und wolle sich nur unterhalten. Er habe noch nie mit einer Europäerin gesprochen. Ich friere, der Wind geht und nach einer Weile fragt er ob er mich auf einen Reiswein einladen dürfe. Er scheint ein interessanter Gesprächspartner für neue Einsichten zu sein, es ist Korea, eines der sichersten Länder der Welt und bis auf die Metoo Berichte dieses Jahr fallen mir keine Gründe ein das Angebot abzulehnen.

Wir setzen uns auf eine Parkbank, Passanten spazieren mit ihren Minihunden an uns vorbei. Und dann dieselbe Frage, warum ich noch nicht verheiratet sei. Denn Heirat gäbe ja auch Sicherheit, denn wer zahlt dann für die Kinder, wenn nicht der Mann? Ich erzähle ihm von österreichischen unverheirateten Paaren mit Kindern und staatlichen Beihilfen. Vom mittlerweile fehlenden gesellschaftlichen Druck. Auch alleinerziehende Frauen bekämen Geld. Anders als in Korea. Zusammenleben ohne verheiratet zu sein und Kinder haben? In Korea unmöglich, sagt meine Flussbekanntschaft. Keine Frau würde jemanden wie ihn nehmen, jammert er. Ob die Frauen in Österreich da anders seien? Er stellt es sich dort romantisch vor. Romantisch, weil nicht geheiratet werden müsse, weil das Geld nicht (so) im Mittelpunkt stehe und weil ich ihm erzählt habe auch andere Menschen zu kennen, die in seinem Alter ihr Leben noch einmal neu ordnen. So würde er nun gerne leben und ich erzähle ihm, dass es auch in Europa viele Jahrzehnte bis zu diesem Punkt gedauert hat.

Aber nicht nur unverheiratete Frauen haben es in Korea schwer, viel mehr gilt das für ihre Kinder. Bis vor wenigen Jahren konnten Kinder nur unter dem Familiennamen des Vaters registriert werden, erzählt mir Mary. Kein Vater, keine Registrierung, noch dazu Ausgeschlossenwerden aus der Gesellschaft. Ostrakismus um es auf anderer Ebene zu sagen. Auch wenn es heutzutage leichter wird, den illegitimen Kindern kann es im Erwachsenenalter wiederum schwerfallen zu heiraten oder einen Job zu kriegen. Ein Mitgrund, warum es soviele Auslandsadoptionen gab, wie nach Kanada, die USA oder Frankreich.

Heiraten ist also wichtig für koreanische Frauen und dafür gibt es eine bestimmte Art von Mann, die sich anscheinend besonders dafür eignen. Eine Frau die es „geschafft“ hat, sass nun vor mir. Sie ist verheiratet – natürlich mit einem Samsung-Mann. Die Art von Frauen, von denen mich mein britischer Gastgeber M. gewarnt hatte: „Es gibt sogar extra Samsung-Unis, auf die nur die Besten aufgenommen werden. Nur Frauen. Von denen werden dann welche ausgewählt, die bei Samsung arbeiten dürfen um dort verheiratet zu werden.“ Ja, so wie die Office-Girls in dem 1950ern. Nur dass es in der Serie Mad Men kultig und doch verstaubt wirkt und wir uns in der Realität und im Jahr 2018 befinden. Ja, Samsungjobs sind beliebt. Wer dort einen Vertrag hat, hat ausgesorgt. Die Firma bietet den Angestellten drei Mahlzeiten am Tag, einen eigenen Kindergarten, es gibt eigene Schulen und Krankenhäuser… Für viele europäische Ohren unbekannt, betreibt Samsung nicht nur eine Unmenge an technischen Geräten, sondern auch viel anderes. Wo Samsung drin ist, steht nicht unbedingt Samsung drauf. „In fact, an average Korean could be brought into the world by Samsung at a Samsung owned medical center, work at a factory owned by Samsung and leave the world by Samsung funeral undertakers.“ meint das Forbes Magazin. Aber auch Firmen wie LG bieten auch, für europäische Augen unbekannt, Dinge wie Zahnpasta an. Man kann also die Zähne für das Selfiefoto zuvor mit der firmengleichen Zahnpflege verschönern..

15% des koreanischen BIP macht das Samsung Unternehmen heute mitunter. Samsung war ein Schlüsselakteur, neben LG und Hyundai, welche das Land nach dem Krieg aus der Krise holte. Daher auch die Macht und der Einfluss des Familienunternehmens.

Angeblich redet der Arbeitgeber sogar bei geplanten Schwangerschaften mit bzw. gibt seine Erlaubnis. Dafür gibt es auch mehr Beihilfen während der Karenzzeit. Als Prestigejob gilt eine Stelle dort und eben auch als Garantie für ein finanziell ausgesorgtes Leben. Denn vom Staat gab es bis vor wenige Jahre kaum finanzielle Unterstützung bei der Kindererziehung. Dabei sinkt die Zahl der Geburten in Korea drastisch und der Altersdurchschnitt der Bevölkerung steigt.

Während noch in den 1960ern seitens der Regierung eine Kampagne geführt wurde, höchstens zwei Kinder in die Welt zu setzen, hiesst es nun mehr zu bekommen. Doch wie, wenn die Betreuungsplätze heiss umgekämpft und das Leben teurer wird? Erst gerade wurde die Erhöhung der monatlichen Beihilfe auf rund 230 Euro im Monat erhöht. Wo der Staat lange versagt hat, springen die grossen koreanischen Familieunternehmen schon länger ein. Doch vieles andere spielt noch mit, wie die Angst den Arbeitsplatz nach der Karenz doch zu verlieren. Dann heisst es oft sich zwischen Kariere und Kind zu entscheiden. Mobbing am Arbeitsplatz nach der Rückkehr ist auch keine Seltenheit. Und es gäbe viele Gründe, warum Korea mehr Nachwuchs bräuchte…

Ob meine Freundin deshalb ihren Mann auserwählt hat? Ich bezweifle es. Nicht nur, weil ich es nicht glauben möchte. Sie wirkte so frei von berechnenden Gedanken. Ausserdem scheint bei einer so hohen Anzahl von Samsungmitarbeitern die Möglichkeit vorhanden, den „Richtigen“ auch aufgrund romantischer Gefühle zu finden.
Juna ist heute Gymnasiallehrerin. Ihr Kinder seien am leichtesten, meint sie. Denn Gymnasium, High School, das bedeutet Oberstufe und die Jugendlichen setzen ihre Energie darauf die Prüfungen möglichst perfekt abzuschliessen um sich eine gute Karriere und Zukunft zu ermöglichen. Da bleibt wenig Zeit und Energie für Blödsinn nebenbei und zeigen ihren Lehrenden Respekt, sagt Juna. Und sie selbst kann als Lehrerin bis zu drei Jahre in Karenz gehen. Zwei Jahre davon unbezahlt, aber mit Jobgarantie bei Rückkehr. Und ein Samsungmann kann die Zeit dann leicht überbrücken helfen..

 

 

NiNa

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