Chinesische Freiheiten

China

Chinesische Freiheiten

Shanghai. Um die 24 Millionen Menschen. Viel Verkehr, viele Hochhäuser, viel Lärm, viel Stress.


Wir bewundern die Skyline bei The Bund am Abend mit vielen blinkenden und bunten Lichtern, umgeben von – Überraschung – vielen Menschen. Die bekannte Najingstrasse lässt etwas Platz zum Flanieren, in Seitengassen finden wir Stille und bekommen Angebote zum Kauf von gefälschten Markenprodukten. Wurde ja auch Zeit mehr Klischee einzubringen.

Die U-Bahn zurück ins Hotel bietet eine Überraschung, sie fährt nach 22 Uhr nicht weiter, wir müssen eine Station vor der unsrigen aussteigen und wagen einen Versuch die Strecke zu Fuss abzulegen. Fehleinschätzung, wieder einmal die Dimensionen vor Ort unterschätzt, es hat nun mal nicht jede Stadt Minimalstabstände von 500 Metern zwischen den U-Bahnstationen wie Wien… Nach einer halben Stunde geben wir auf und versuchen auf den schon leeren Strassen in dem Viertel von nun leeren Bürogebäuden ein Taxi zu finden, das uns auch ans Ziel bringt. Ungeduld und die verkehrte Ansicht von Kundenservice zeigt sich auch wieder hier. Schnelle Entscheidungen sind oft gefordert, hier gilt es meist den Bietenden davon zu überzeugen dem Kaufenden das Gewünschte zu geben und nicht andersrum. Schliesslich könnte der nächste Kunde direkt um die Ecke sein, bzw. in der Warteschlange gleich dahinter. Für was sich also gross bemühen?…

Wie sehr in China das Aussehen und Status zählen, lernen wir ebenso  auf die harte Tour, als wir in unser pompöses Hotel einchecken, für das es im Internet ein gutes Angebot gab. Mit den grossen Rucksäcken bepackt marschieren wir zur Rezeption und werden von allen in der Halle misstrauisch beäugt. Ob wir reserviert hätten? Ja klar, hier die Buchungsbestätigung. Pässe bitte. Nein, tut mir leid, wir finden Ihre Buchung nicht! Hier gibt es für Sie kein Zimmer. Sicher? Bitte sehen Sie nochmal nach, wir haben schon bezahlt, hier die Bestätigung. Wo haben sie gebucht? Rufen Sie doch dort an und fragen nach!  Wie bitte? Wir zeigen uns geduldig, aber verärgert. Wir spüren, dass wir eigentlich wieder gehen sollten. Wir passen nicht zu diesen schicken Anzugsmenschen die hier sonst ein und ausmarschieren. Sie sollen doch nochmal schauen, bitten wir, hier nochmal die Bestätigung… Wir warten, eine andere junge Dame geht vorbei, hört sich ihren ebenso jungen Kollegen kurz an, schaut auf den Bildschirm, tippt etwas ein, nickt und meint, ja, Sie haben hier ein Zimmer für zwei Nächte. Na wirklich? Anscheinend wurden die Namen verkehrt eingegeben. Richtiges Bemühen sieht anders aus. Dann müssen wir in die Kamera schauen, die Bilder werden abgeglichen, der chinesische Staat weiss nun wo diese zwei seltsamen Ausländer diesmal einquartiert wurden. Wir bekommen die Karte fürs Zimmer, aber keine Entschuldigung. Wieso denn auch, es passt ja nun alles! Als wir am Abend bei der Rückkehr nach Informationen zum Pool bitten, bekommen wir als Erstes zu hören, dieser wäre schon zu und sowieso nicht für die Öffentlichkeit zugänglich. Ach, Sie wohnen hier? In welchem Zimmer denn bitte? Ich frage mich wieviele Leute in dieser Gegend um diese Uhrzeit ins Hotel kommen und schwimmen wollen. Wir sparen uns weitere arrogante Behandlungen, fragen nichts mehr und gehen nur noch bei der hinteren Tür ein und aus. Ich frage mich, ob ich mich mal in irgendeiner Unterkunft in China willkommen fühlen werde. Es wird etwas später passieren, als ich für eine Nacht in meinem letzten chinesischen Hostel absteige. Da werde ich sogar kurz angelächelt.

In Shanghai besuchen wir das Propagandamuseum, das wahre Schätze an Plakatkunst zu gesellschaftspolitisch relevanten Ereignissen anbietet.

Poster aus den 1930ern bis in die 1970er beleuchten verschiedene Episoden in China mit einfachen Übersetzungen des Geschriebenen und einiges kann man sich angesichts der Bilder selber denken. Unter die Propagandaposter fällt auch eines zum Koreakrieg. China hat sich ja netterweise erbarmt und ist Korea zur Seite gesprungen. Dass es sich um Nordkorea handelt und Südkorea das Gegenüber im Krieg ist, wird auf dem Poster nicht erwähnt. Geschichte hat viele Facetten.

Wir spazieren weiter, durch das französische Viertel, die French Concession. Hier ist der Einfluss des Kolonialismus ersichtlich, wobei nur von der netten Seite. Wer darüber im Internet recherchiert, wird vorwiegend Tourismustipps zu dem Ort bekommen, weniger darüber was der Kolonialismus für die Stadt und das Land bedeutete.

Der Jingan Tempel gleich daneben beeindruckt uns. Inmitten der modernen Hochhäuser wirkt er fehl am Platz. Im Inneren lässt er die Stadt herum zumindest visuell kurz vergessen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Meinen letzten Abend verbringe ich mit einer Bekannten. Wir reden über China, ich habe einige Fragen. Ist das Land nun kommunistisch? Wie stehen die Menschen zu Mao? Wieso gibt es Internetzensur? Und wie ist das nun mit der Meinungsfreiheit?

Mao und die Kulturrevolution, das sei in China allen klar, dass das nicht gut war. Was in den Schulbüchern stehe, an das glaube ja niemand. Allen sei es bewusst. Geschichte wird von den Siegern geschrieben, da waren wir beide uns einig. Aber in den westlichen Medien sei auch viel dazu übertrieben worden, meint sie weiter. Insgesamt was China angeht. Sie lese ja die englischen Seiten und höre was in Deutschland und so geredet wird. Der Artikel zu den Sozialpunkten? Nie gehört von so etwas. Als kritische Person verstehe ich. Ereignisse können so unterschiedlich beleuchtet werden. Als ich vor langer Zeit für ein paar Monate in Frankreich lebte, sah ich wie die französische Presse Österreich und den Wahlerfolg der FPÖ kurz zuvor darstellte. Einige Monate nach der ersten Donnerstagsdemo, meinte ein Reporter in einem Beitrag dazu lapidar „L‘ Autriche se leve enfin – Österreich erhebt sich endlich“. Aus den Zeitungsartikeln, die mir meine Oma liebevoll per Post zukommen hatte lassen (weil in einer Zeit vor dem heutigen Internet), wusste ich wie es tatsächlich war. Oder?

Und was bedeutet das nun für mich und mein Bild von einem diktatorischen China? Und was ist nun mit Demokratie? Die gäbe es ja in gewisser Form, antwortet sie. Zwar gibt es nur eine Partei, aber darin gäbe es verschiedene Fraktionen, unterschiedliche Meinungen. Aus dem Fernsehen kenne ich dazu entsprechende Bilder. Abgeordnete im chinesischen Parlament die sich gegenseitig am Kragen packen und prügeln wollen. Dennoch, eine richtige Auswahl an Vertretungsoptionen sieht anders aus. Doch das brauche es ja nicht lerne ich, schliesslich sei es in anderen Ländern auch nicht besser und für ein so grosses Land wie China sei die jetzige Staatsform besser. Und es gehe ja allen gut! Von Aussen kann ich den Eindruck nur bestätigen. Ich sehe eine gut genährte und gekleidete Bevökerung. Ja, es gibt auch ärmere Leute. Oberflächlich gesehen soweit alles gut. Und wie ich gerade in Österreich erfahren habe, kann es auch in einem angeblich demokratischen Land passieren, dass das Begehren eines sehr grossen Teiles der wahlberechtigten Bevölkerung von der Regierung ignoriert wird… Also wirklich so wie überall? Wie ist’s denn nun mit Meinungsfreiheit? Ja, also jemand der sich dem Staat gegenüber kritisch zeigt, der hätte auch in den USA oder sonst wo kein einfaches Leben. Ich protestiere und weise daraufhin, dass dort deswegen niemand verschwinde oder für die Meinung ins Gefängnis komme. Wir sprechen darüber nicht weiter.
Der Kommunismus ist eine Bezeichnung für eine Staatsform wie jede andere auch. Aber eigentlich hat er keine Bedeutung. Zählen tut Geld. Wieso dann die Bezeichnung lassen? Weil jedes Land eben eine Ideologie brauche. Etwas, was die Menschen zusammenhält. Verstehe. Und die Zensur im Internet? Die sei wichtig um die Bevölkerung zu schützen. Facebook zum Beispiel, das habe ja viele falsche Nachrichten, die verbreitet werden. 2007 hätten muslimische Leute dort zu einem Anschlag gegen die chinesische Restbevölkerung aufgerufen. Daher habe sich der Staat zur Sperre der Seite entschieden. Den Menschen in China gehe es ja gut, nur seien eben viele ungebildet. Die intellektuelle Schicht wüsse sich sowieso zu helfen und benutze VPN Zugänge. Das sei dem Staat klar. Ich werfe ein, ob nicht eine bessere Medienerziehung auch helfen könne. Schliesslich betreffen Fake News auch andere Länder. Ich bekomme darauf keine wirkliche Antwort.

Was ist überhaupt Freiheit? Ich erinnere mich an die Aussage eines Reisenden aus Kashmir, den ich im Iran kennenlernte, der meinte er fühle sich gerade so frei, weil er mal keine Angst haben müsse vor Autobomben oder dauernden Kontrollen und Soldaten. Das Gefühl unbeschadet bleibend durch die Strassen Irans zu spazieren, das mache ihn frei. Und dann denke ich an eine Kubanerin, die mir vor wenigen Monaten erst sagte, sie fühle sich während ihres Urlaubs in Österreich so eingeengt, denn sie könne da nicht so wie daheim anziehen was sie wolle und einfach auf der Strasse zu lauter Musik tanzen. Nein, eine negative Meinung zur Regierung könne sie nicht äussern, aber ansonsten sei sie doch frei!

Ich möchte gerne weiter verstehen. Wir spazieren durch das französische Viertel und halten in einem kleinen Park. Mehrere kleine Statuen aus Stein speihen Wasser in einen kleinen Teich. Das Plätschern klingt beruhigend. Habe ich an meinen letzten zwei Tagen doch noch etwas Ruhe in dieser Stadt gefunden.


China sagt man mir noch, sei ein grosses Land, alle asiatischen Länder würden zu ihm aufblicken. Wie der Rest der Welt zu den USA. Aber die USA hassen auch viele Menschen, werfe ich ein. Ja, aber China habe viel gebracht an Wissen. Die Koreaner beispielsweise, alles von den Chinesen abgekupfert. Die Gebäude, die Paläste und Tempel wären ja auch gleich. Bis vor hundert Jahren hätten die nicht mal eine eigene Sprache gehabt. Das sähe man schon daran, dass sie keine eigene Schrift hatten. Ich frage, wie man von heute auf morgen eine neue Sprache einführt und merke an, dass mir Koreanisch vom Klang her sehr unähnlich vorkomme. Nun, Koreanisch sei eben ein anderer Dialekt, aber es komme vom Chinesischen. Alle wichtigen Leute hätten früher Chinesische gesprochen, sowie die Adeligen in Europa Französisch. Ich frage mich, was das für den Rest der Bevölkerung heisst und entscheide nicht weiter nachzuhaken. Schliesslich kommt die Meinung ja von jemanden, der noch kurz zuvor gemeint hat die Geschichte werde allein von den Siegern geschrieben…

Was würde Buddha dazu sagen?

Ich verlasse das Land etwas nachdenklich. Mein Bild von China hat sich durchaus geändert, zum Teil zum Positiven, zum Teil bin ich verwirrter. Nur zehn Tage, der Sprache nicht fähig und wenige Gespräche mit Einheimischen, das ist unzureichend. Ich muss ja nicht alles verstehen. Ich beschliesse die Eindrücke auf mich wirken zu lassen und nicht weiter nach so etwas wie Wahrheit zu suchen. Viel Zeit zum Nachdenken bleibt mir sowieso nicht. Nach einem etwas ruhigeren Wochenende, steige ich Montagmorgen zum letzten Mal in die überfüllte U-Bahn, lasse mich noch mal richtig schön einquetschen und komme nach einer 1,5 stündigen Fahrt am Flughafen Pudong an. Der Tag wird am Flughafen und in Flugzeugen verbracht. Nächste Station – Mumbai!

 

NiNa

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