
China….
China wird vieles nachgesagt. Äusserst bevölkerungsreich zu sein, billige Kleidung, Schuhe und anderes für quasi die ganze Welt herzustellen (unter selbstverständlich schlechten Bedingungen) und wenig Meinungs- und Medienfreiheit für die eigenen Landsleute zu bieten.
Ersteres ist eine durch Fakten belegte Tatsache, die ich mir dennoch nie in diesem Ausmass hätte vorstellen können. Verstehen konnte und musste ich dann schnell. Sobald wir nach unserem kurzen Flug von Seoul nach einer fast ebenso lange dauernden U-Bahnfahrt aus dem Untergrund kamen, liefen uns die Menschenmassen entgegen. Mit Chinafähnchen und roten Herzchen beschmückt strahlte die Menge Festivalcharakter aus. Die Stimmung schien grossartig, alle aufgeregt.
Wochen zuvor hatte ich erfahren, dass in der Woche unserer Ankunft die Golden Week wäre. Zweimal im Jahr hat das ganze Land für jeweils eine Woche frei. Zum chinesischen Neujahr und früher auch im Frühjahr für eine Woche. Im Herbst steigt jedenfalls das Erntedankfest. Das wird anders als in Korea weniger genutzt um die Familien daheim zu besuchen. Nein, die Familie wird eingepackt und in die Hauptstadt geschleppt um alle national bedeutenden Sehenswürdigkeiten zu bewundern. Gefühlt das halbe Land befand sich die Tage in Peking und bei einer Bevölkerungsanzahl von 1.4 Milliarden reicht schon die Hälfte um bei mir leichte Panik auszulösen.
Um die Massen in Griff zu bekommen wurde unsere U-Bahnstation gesperrt, so dass wir einen Umweg gehen mussten. Und dann wurde gelernt, dass hier die Technik des Vordrängens und Ellbogens vorherrscht und das Prinzip des Survial of the Fittest. Noch nie in meinem Leben hat sich ein Kind im Volksschulalter in einer Warteschlange bei mir so deutlich vorgedrängt und mich danach stolz angegrinst. Sie hatte Pech, ich war bereit und zwei Köpfe grösser, die Eintrittskarten zum Palast bekam ich zuerst. Dass wir mit unserem Eindruck über die Vordrängel- und Durchboxphilosophie nicht alleine waren, bestätigten uns andere Reisende, die wir bei einer Tour zur grossen Mauer kennenlernten.
Auch in einem Onlineartikel findet sich eine Beschreibung dieses Vorgehens. Wer von Klein auf lernt so zu handeln, wird dies als Erwachsener kaum ändern. Wohl auch aus diesem Grund (damit sich nicht alle gegenseitig niederboxen) wurden im Stadtzentrum die Fusswege gezielt durch Barrieren geleitet, Strassen gesperrt und hunderte Polizisten und Soldaten eingesetzt um die Massen zu kontrollieren. Zumindest über die Feiertage. Die Sicherheitskontrollen in den U-Bahnen selbst haben wohl mit der Angst vor einem Terrorangriff zu tun, die gibt es nämlich immerzu und bei jeder Station. Und währen der Golden Week wurde dieses Sicherheitsdenken auf öffentliche Plätze ausgedehnt und wer den Tianmen überqueren will, muss dafür nicht nur die Tasche durchleuchten lassen, sondern auch stets seinen Ausweis herzeigen. Die chinesische Bevölkerung checkt dafür mit ihrem Personalausweis aus u ein. Papa Staat weiss dadurch immer wo sich seine Leute befinden und wer so brav war sich über die Feiertage mit der eigenen Staatskultur zu beschäftigen…
Während wir gedacht hatten, mit einer Unterkunft im Zentrum schnell bei Ausflügen unterwegs zu sein, stellte sich dies angesicht dessen als falsch heraus. Nicht nur dauerte alles lange, es war schlicht anstrengend und energieraubend von so vielen Menschen konfrontiert und eingeengt zu sein. Jede Sehenswürdigkeit war überlaufen, Ruhe kehrte wenig ein. 80.000 Eintrittskarten gibt beispielsweise die Verbotene Stadt am Tag aus, der Freitag war bereits lange davor ausverkauft. Chinesen oder andere Personen mit einer chinesischen Telefonnummer können diese nämlich online reservieren. Alle anderen kaufen die verbliebenen Tickets vor Ort oder haben Glück eine hilfsbereite Person bei der Rezeption ihrer Unterkunft zu finden. Hatten wenige die ich kenne, Freundlichkeit wird hier teilweise anders verstanden. Unser Empfang im Hostel war jedenfalls sehr ungehalten und gab uns eher das Gefühl nicht erwünscht zu sein. Immerhin war es sonst nett und ruhig, nur das Hupen der Mopedfahrer auf der Strasse war leicht zu hören. Immerhin sind sie alle elektrisch, denn so eine Maschine hat hier quasi jeder sobald möglich…
Gespräche mit anderen bestätigten unseren Eindruck und ich glaubte schon, die chinesische Gastgewerbsmentalität verstanden zu haben, als mir zwei Kellner einen Strich durch diese Rechnung machten und nicht nur freundlich und hilfsbereit waren, Nein, einer lief uns sogar nach um mir meinen vergessenen Schal zu bringen. Aussage revidiert, es gilt wie immer dass es solche und solche Menschen gibt. Schliesslich drängelt auch nicht jeder Chinese und es spuckt auch nicht jeder auf den Boden.
Ein kleiner Tipp jedenfalls: für Reisen in Länder wie China immer nach Feiertagen recherchieren.
Die schönsten Momente in der Verbotenen Stadt waren die kurz vor der Schliessung, als die letzten Sonnenstrahlen die Gebäude beleuchteten, die Abschiedsmusik aus den Lautsprechern flötete und die meisten Leute bereits bei zu anderen Toren gegangen waren um dort hinauszugehen. So hätte der ganze Tag aussehen sollen!
Am letzten Abend der Feiertage war die Ruhe jedoch deutlich spürbar. Die Kontrollstationen um den Tianmen wurden abgebaut und die meisten Menschen waren bereits nachhause gekehrt. Ein gemütliches Schlendern durch die kleinen Gassen um unser Hostel wurde möglicher, nur noch die heimischen Rad- und Mopedfahrenden hupten und klingelten wie gewohnt vor sich hin um die anderen Menschen am Weg dazu zu bringen ihnen Platz zu machen. Bei diesem Durcheinander ist uns kein einziger Unfall aufgefallen.
Deutlich aufgefallen ist jedoch auch allen anderen Reisenden die schlechte Luft in der Stadt. Meine Lungen fühlen sich während ich das schreibe noch immer so an, als hätte ich einen Abend in einem Raucherlokal verbracht. Nach dem Ausflug zur grossen Mauer war die Umstellung besonders spürbar, da die Luft dort draussen so rein und frisch gewirkt hatte, dass es geradezu ein Schock war, diese Smogluft in den Körper zu lassen. Wie Menschen hier leben können, ist mir ein Rätsel. Masken trägt hier kaum jemand. Nach Korea fällt mir dies noch mehr auf, wo gefühlt dreiviertel der Menschen mit Masken und Sonnenschutz herumliefen. Gewissen Politiker in Österreich würden dort viele Strafen ausstellen wollen, erkennen kann man da nämlich niemanden darunter. Auch rauchen in China so viel mehr Menschen als in Korea. Während ich mich dort schon sehr an diese Umstände gewöhnt hatte, fielen mir hier alle Rauchenden sofort auf. Ich frage mich, wie es mir dann zurück in Österreich gehen wird, gefühlt dem einzigen Land der Welt das den Schutz der Rauchenenden über den der anderen stellt. Ein paar Wochen bleiben mir ja noch und hoffe, dass die Region bessere Luftbedingungen aufweist, als die chinesische Hauptstadt. In Peking haben wir jedenfalls den Sommerpalast besucht (wenig spektakulär meiner Ansicht nach, am besten wohl während der Blütezeit der Seerosen machen), den Tianmen (zusammen mit vielen anderen Chinesen), die Verbotene Stadt und die Grosse Mauer.
Letzteres zeigte sich als positiven Höhepunkt. Die Massen liessen wir dabei hinter uns indem wir die richtige Tour buchten. Bei einer Länge von fast 8.000 Kilometern sollten sich ja ruhige Orte finden, beim Vorbeifahren an manchen Stellen zeigte sich, dass wohl nicht alle Menschen ein Bedürfnis nach Ruhe haben können, sonst wäre die Mauer dort nicht so voller Leute gepackt gewesen. Vielleicht brauchen Menschen hier diese Enge, da sie sich sonst einsam fühlen könnten…
Wir genossen den Spaziergang auf drei Kilometern Mauer mit einer kleinen Gruppe anderer Reisenden und wenigen Einheimischen.
Wir verlassen Peking an einem Montagmorgen so rasch wie es geht – mit dem Expresszug. Mit rund 300 Stundenkilometern nähern wir uns Suzhou bei Shanghai. Die Zeilen schreibe ich während der knappen sieben Stunden Fahrt, die uns an das nächste Ziel führen. Die Landschaft wirkt trostlos. Helles und graues Braun der Felder reiht sich aneinander, dazwischen geordnete Linien von Bäumen, gezielt angepflanzt um wohl dem Wüstencharakter der Landschaft etwas entgegenzusetzen. Darüber ragen grosse Strommasten und Antennen. Lieblich ist etwas anderes. Ich frage mich, ob Sonnenschein etwas an meinem Empfinden ändern würde. Rund um Peking scheint Smog genauso über der Erde zu liegen wie in der Stadt selber. Oder sind es besondere Wetterbedingungen, die nur hier in dieser Region in China gelten? Die Sonne ist manchmal zu sehen, durch einen Schleier. Wolken sehen anders aus. Der Zug hält als erstes in einem Betondschungel. Ich hatte gedacht in Korea bereits alles der Art gesehen zu haben, aber auch hierbei hat China andere Dimensionen. Grau und Grau und Grau… wobei, manche der Hochhäuser sind sogar braun. Daneben stehen deutlich kleinere Gebäude, die man in Wien als neuen Gemeindebau bezeichnen würde. Und daneben ein kleines Viertel mit heruntergekommenen alten Häuschen, die wohl auch nicht mehr lange bestehen werden. Genau wie in unserem Viertel in Peking, leben dort wohl vermehrt alte Menschen. Wie lange wird dieses in dieser Art erhalten bleiben, so wie die charmanten Viertel in Korea, die mir so gefallen haben? Wenn alle jungen Leute dieser Länder in Hochhäuser ziehen, die deutlich mehr Komfort haben, wie wird die architektonische Landschaft der Zukunft aussehen? Was vom „Ursprünglichen“ wird übrig bleiben? Bei einem so rasanten Wandel und einem wirtschaftlichen Aufschwung, steht Veränderung ausser Frage. Wobei ja schon der grosse Sprung in den 1950ern eigentlich auch von den Häusern nicht viel gelassen hat, was ist denn wirklich Altes noch vorhanden?
Die Dörfer die uns während der Fahrt begegnen wirken oft heruntergekommen und leer. Im Hintergrund stehen die Baustellen der Wolkenkratzer…
Für manche Leute ist es sicher gut, dass soviel gebaut wird, da die Mietpreise in den Metropolen deutlich zu hoch sind.
Wir sind eine Stunde von Shanghai entfernt, als Mischwälder der Landschaft eine neue Ausstrahlung verleihen. Die Sonne kommt noch immer nicht durch. Bei unserer Ankunft erwarten uns dann gleich neue Abenteuer…