Die koreanische Psyche

Korea

Die koreanische Psyche

Zeig mir deine Freunde und ich sage dir, wer du bist. Was für Menschen gilt, könnte in abgewandter Form für Korea heissen: zeig mir deine geographischen Begebenheiten und ich verstehe wie du bist. 

Wer mehr von Korea sehen will, muss in den Süden gehen. Jedenfalls raus aus der Grosstadt Seoul und von dort aus bleiben nur zwei Richtungen – der Osten, dessen Küste kurz nach dem Seroksangebirge ins Ostmeer bzw. Japanische Meer übergeht; oder eben der Süden, wo quasi alles weitere zu finden ist. Das sagt schon einiges über das Land aus. Denn die restlichen Himmelsrichtungen werden durch die Politik gesperrt. Nordkorea bietet eine schier unüberwindbare Grenze, die für viele Menschen auf beiden Seiten gerne der Vergangenheit angehören könnte. Zwischen den beiden Ländern befindet sich die DMZ, die demilitarisierte Zone. Dort patrollieren hauptsächlich Soldaten und es gibt ein grosses Nichts. Nun, seit kurzem auch einen Austellungsort für Künstler. Zum Leben ist die Zone jedenfalls nicht geeignet. Die DMZ kann auch mit organisierter Führung besucht werden. Dann sieht man auch die Tunnel die von Nordkorea aus gebaut wurden um in kurzer Zeit möglichst viel Soldaten nach Südkorea zu senden. Nicht um zu helfen nehme ich an. Kein Wunder, dass die Südkoreaner etwas paranoid wurden.

Der Konflikt zwischen den zwei Landshälften entwickelte sich nach dem 2.WK, als die japanische Besetzung (die einen eigenen Blogeintrag wert wäre, hier jedoch ausgelassen wird. Bei Interesse, hier nachlesen für einen kleinen Eindruck) ein Ende haben sollte und das Gebiet in eine Treuhandschaft zwischen Russland, China, Grossbritanien und den USA aufgeteilt wurde. Diese zwei besetzten Hälften sollten auf diese Art solange bestehen, bis die Regierungs- und Verwaltungsorgane wieder aufgebaut würden. Die UNO forderte Wahlen, zu denen es im Norden jedoch nie kam und im Süden entstand recht bald eine Diktatur.

Dazwischen stand jedoch der sogenannte Koreakrieg. Als Nordkorea am 25. Juni 1950 mit militärischen  Truppen die Grenze überschritt, wurde dieser eingeleitet. Die Folgen davon sind im UN-Friedhof in Busan zu sehen. Zusammen mit einer us-amerikanischen Begleiterin begab ich mich dorthin um mir einen Eindruck zu schaffen. Wenige Personen waren vor Ort, jedoch ein paar Gruppen Kinder im Volksschulalter. Sie lernen dort einen Teil ihrer Landesgeschichte kennen. Viele Gräber sind heute dort zu sehen und Denkmäler, die die nationalen Herkünfte der Gefallenen in guter Weise repräsentieren. Einige Menschen sind damals verstorben.

Die Vereinten Nationen entschieden im September, wenige Monate nach dem Einmarsch Nordkoreas, Truppen zur Unterstützung Südkoreas zu entsenden. Russland war der Abstimmung dazu ferngeblieben.

Fast 90 Prozent der UN-Soldaten kamen aus den USA. Auch Australien, Neuseeland, Kanada, die Türkei und andere Länder waren personell dabei. Kein Wunder, dass ein Kellner beim Abendessen einen meiner Begleiter als „Bruder“ bezeichnete. Die Dankbarkeit für die internationale Unterstützung ist manchen Südkoreanern noch heute geblieben.

Die meisten Gefallenen waren kaum überraschend sehr jung. Die Beziehung zum eigenen Alter wird eindeutig davon beeinflusst vor einem Grabstein von einem Gefallenen zu stehen, der mehr als zehn Jahre jünger als man selbst ist.

Rund zwei Millionen UN Angestellte waren zur Unterstützung Südkoreas eingesetzt, rund 41000 davon überlebten den Einsatz nicht. Manche ihrer Gräber sind direkt am Friedhof zu finden, einige davon sind namenlos.

Aus dem geschichtlichen Kontext heraus ist leicht zu erklären wieso kaum Europäer unter den Beteiligten waren. Der Kontinent war nach Jahren der Zerstörung gerade mit sich selbst beschäftigt.

Zwischen einer Million und drei Millionen Südkoreaner sind während des Krieges getötet worden, viele wurden vertrieben. Das Land lag in Schutt und Asche. Und die psychologischen Folgen sind teilweise noch heute fühlbar…

Geblieben ist vom Krieg auch die DMZ. Zu der Zeit als ich dorthin wollte gab es jedenfalls keine Führungen, da Treffen zwischen den Ländern stattfanden. Sogar leitende Manager von Huandai, Samsung usw. hatten sich für dieses Treffen angekündigt. Dabei wurden auch ein Abkommen zwischen den Ländern unterzeichnet, das mehr Ruhe bringen soll. Davon hätte ich in europäischen Medien wenig mitbekommen, hier erscheint Kims Gesicht jedoch regelmässig am Fernsehschirm, meist an der Seite der südkoreanischen Präsidenten Moon.

Während in westlichen Medien Trumps Handlungen in Bezug auf Nordkorea im Vordergrund stehen, zeigt sich das Geschehen hier ganz anders. Die Verhandlungen mit den nördlichen Brüdern sind zumindest für die älteren Koreaner bedeutend. Die jüngeren, wie mir mein Gastgeber in der Stadt Busan erzählte, haben kaum noch Bezug zu den Nachbarn da oben. Für Leute wie ihn ist es wenig bedeutend, was nun wird. Die Länder schnell vereinen, da ist er mal dagegen. Das würde doch sicher teuer werden! So wie in Deutschland, da müsse der Westen ja noch immer für den Osten soviel zahlen! Nein, das braucht er nicht. Er gehört zu der Gruppe, die gegen eine Wiedervereinigung sind. Besonders zählen dazu diejenigen, die keine Verwandten dort oben haben.
Gerade erst gab es wieder Familienzusammenführungen, bei denen sich Menschen nach jahrzehntelanger Trennung wiedersahen. Das Fernsehen zeigte dazu emotionale Bilder von fast ausschliesslich Greisen, die ihre Angehörigen endlich wieder in die Arme schliessen können. Zumindest für ein paar Stunden und stets überwacht. Zudem muss sichergestellt werden, dass niemand die Möglichkeit bekommt, in das falsche Land weiterzureisen…

Auf südkoreanischer Seite erinnern beim Spazieren nahe bei Seoul Schützengräben daran, dass hier mitunter Soldaten für den Ernstfall trainieren.

Ansonsten weist der Dorosan Bahnhof an der Grenze zum Norden bereits extra Bahnsteige auf, die auch Pönjang anschreiben. Ein paar Jahre fuhren auch Züge in den Norden, die Güter transportierten. Unstimmigkeiten führten jedoch zu einem Ende des Projekts. Das neue Abkommen könnte dies wieder ändern. Für den Fall der Fälle, sind die Koreaner was das angeht zumindest gerüstet.

Prinzipiell geht in dem Land Sicherheit vor. Erst in Gesprächen mit Menschen hier fiel mir auf, wie fragil das Konzept Südkorea doch ist. Im Norden abgetrennt, von möglichen Atomwaffen bedroht, sonst von Meer umgeben, die japanischen Nachbarn erinnern teilweise an erlittene Traumata und die Chinesen sind auch nicht die besten Freunde. Eigentlich erinnerte es mich nun mehr an eine etwas einsame Insel. Deshalb wird wohl auch wenig an Nahrungsmitteln importiert, ist ja auch teuer. Aber kein Problem, das koreanische Obst und Gemüse ist ja sowieso das beste der Welt, genau wie das Essen.
Safe zones in U-Bahnen sollen in Angriffsfällen Deckung bieten, die Gasmasken die in fast jeder Station zu finden sind reichen wohl nie für alle, aber sie sind in hübschen Glaskästchen ausgestellt und erinnern daran, dass Gefahren eben doch existieren. Auch wenn die junge Generation mehr mit ihrem Aussehen und k-Pop beschäftigt ist…

Dennoch, der derzeitige Reichtum und auch die Freiheiten der Menschen, sind noch sehr jung. Es braucht nur einen Ausflug nach Gwangju um einen Eindruck zu erhalten, wie es noch in den 1980ern ausgesehen hat…

Auf dem Weg dorthin ändert sich die Landschaft ändert sich quasi im Vorbeifahren. Die Hochhäuser werden langsam aber doch weniger, es erscheinen mehr kleine Häuschen und die Felder werden grösser.

 

So friedlich die Landschaft aussieht, so wenig Ruhe bietet sie manchen Menschen in der Region um Gwangju noch heute. Die 1980er waren für Korea eine Zeit der Unterdrückung. Militärregierungen standen nach 1960 in Südkorea an der Tagesordnung. In den 1970ern erholte sich das Land wirtschaftlich und überholte den Norden. Dennoch, Freiheit war noch nicht in Sicht. Park Chung Hee, der fast 20 Jahre das Land unter Kontrolle hatte, wurde Ende 1979 von seinem eigenen Geheimdienstchef während eines Trinkgelages erschossen. Wenn sich das Volk danach das Ende der diktatorischen Zustände erhoffte hatte, wurde es enttäuscht. Ein Nachfolger war rasch gefunden. Unruhen begannen im Land, in Gwangju fanden diese ihren negativen Höhepunkt.

Unsere Gastmutter in der Stadt erinnert sich daran, wie sie sich mit ihrer kleinen Tochter im Säuglingsalter für einen Monat in der Wohnung verschanzte. Denn als die Proteste der Studierenden und später auch anderer Leute heftiger wurden und das Militär dazukam, war es durchaus der Fall dass letzteres einfach in Wohnungen einbrach um den Austand niederzuschlagen.

Wieviel Personen im Mai 1980 starben ist ungewiss. Verschiedene Quellen bieten unterschiedliche Zahlen. Das unterste Limit spricht jedoch von 154 Personen, das höchste von 2300 Toten. Auch junge Schüler und Schülerinnen waren darunter. Ein Gedenkort und eine Ausstellung in Gwangju erinnern an die Geschehnisse und erzählen in für europäische Augen ungewohnt nicht-objektiver Weise davon…

Bekannt wurde das Massaker auch wegen dem friedlichen Zustand und Zusammenhalt in der Stadt, in den Tagen bevor das Militär nach der Zurückdrängung wieder kam. Es benötigte noch sieben Jahre um den Leuten aus Gwangju und ihren Landsleuten erste Demokratie zu bekommen. Ein richtiger Aufschwung gand dann in den 1990ern statt. Ausserhalb von Gwangju war jedoch lange von einem Aufstand von Kriminellen die Rede gewesen. Auch innerhalb von Südkorea wussten wenige was in der Stadt passiert war. Der deutsche Journalist Hinzpeter filmte die Zustände in Gwangju und schmuggelte die Aufnahmen in einer Keksdose ausser Land. In Gwangju gilt er daher als Held, seine Taten wurde gerade erst verfilmt.

Als Grund für die brutale Niederschlagung des Aufstandes galt unter anderem die Gefahr eines Angriffs der Nordkoreaner. Ein instabiles Land ist schliesslich ein gutes Ziel. Die Wahrnehmung der Leute in Gwangju ist eine andere.

Aber auch sonst will sich das Land auch noch heute von aussen schützen. Als in diesem Frühjahr mehrere Personen aus dem Jemen auf der Urlaubsinsel Jeju ankamen, führte das zu Protesten. Flüchtlinge, das ist seltsam, wieso kommen die hierher, die hätten doch auch woanders unterkommen können?  Ausserdem noch dazu Muslime, die passen nicht hierher. Wir Koreaner sind ruhige Menschen, Muslime sind anders und sie sind nicht gut erzogen und laut. So ein Gesprächspartner. Zudem wollen die ja alles gratis haben. Einfach so hierbleiben und noch dazu ohne Militärdienst zu machen! Denn in Südkorea muss jeder junge Mann vor seinem 30 Geburtstag zwei Jahre zum Militär. Genau, zwei ganze Jahre. 20 Tage Urlaub bekommen die Männer. Und die meisten habe ich gehört, verlieren in dieser Zeit ihre ebenso jungen Freundinnen, die nicht solange warten wollen…  Wie ich sehen konnte, lernen die jungen Männer dabei immerhin auch so wichtige Dinge, wie beim Essen die Hand mit den Stäbchen im 90 Gradwinkel zum Mund zu Führen. Wer hat behauptet, dass fernsehen nicht bildet?

Mir gegenüber zeigten sich die meisten Südkoreaner jedoch freundlich bis neutral. Bin ja auch Touristin, noch dazu Europäerin! Manchmal kam bei Spaziergängen auch ein schüchternes Lächeln, mitunter mit einem „Hello“. „Where you from?“ folgte manchmal auch. Sollte ich wo besonders aufgefallen sein, zeigte man es jedenfalls nur wenig. Zum Anstarren scheint man hier zu höflich.

Der Militärdienst jedenfalls bringt auch eine Art Nationalstolz mit sich wie ich es verstanden habe. Es geht darum das Land zu verteidigen, gegen die da draussen. Ein wenig scheinen sich manche hier von der Welt verlassen zu fühlen. Und zugleich verschliesst sich das Land selbst vor dem „Draussen“.

Julie habe ich bei meiner Reise in der Kleinstadt Jeonju kennengelernt, einem Örtchen in dem ein Teil von Hanokhäuschen der alten Art bebaut ist. Julie heisst natürlich nicht so, aber sie ist tatsächlich Französin. Jeonju zieht viele koreanische Touristen an, die dort gerne in traditionellen Kleidern umherspazieren und viel für Fotos posieren. Das ist nämlich in Südkorea ein inoffizieller Nationalsport.


Julie arbeitet jedenfalls für ein französisches Reiseunternehmen. Sie organisieren vor allem Reisen für Personen mit Adoptionshintergrund, die von Frankreich in ihr Ursprungsland kommen wollen. Darüber wurde hier ja schon ein wenig gesprochen. Julie erklärte mir unter anderem, warum in Korea so wenige originalsprachige Stadtführer unterwegs wären und es daher sowenige Personen gibt, die Touren mit richtigem Englisch, Französisch oder Deutsch anbieten. Als Stadtführer dürfe nämlich von den ausländischen Mitarbeitern niemand fungieren, das dürfen nur einheimische. Wieso? Wer diesen Beruf in Korea ausüben will, muss ihn auch da erlernt haben. So sieht es das hiesige Recht vor. Das ist der Grund warum auch in der Grossstadt Seoul keine muttersprachigen Französisch- oder Deutschtourismusführer zu finden sind. Und kaum jemand wird die viele Jahre dauernde Ausbildung extra nachholen. Südkorea möchte sich so gerne vor Arbeitern von aussen schützen. Der Markt soll Einheimischen vorbehalten bleiben.
Julie ist vom strengen koreanischen Arbeitsrecht auch auf andere Weise betroffen. Sie würde nämlich gerne hier bleiben und nach ihrem Praktikum in der Firma bleiben und richtig arbeiten. Doch das wird sich ihre Firma nicht leisten können. Drei nicht heimische Hauptangestellte gibt es zur Zeit und das sei genug. Für eine ausländische Arbeitskraft sagt sie, müsse ihre Firma fünf koreanische anstellen. Denn sonst würde die Person ja einer einheimischen Kraft den Platz wegnehmen. Klar soweit?

Ausländischen Firmen wird vieles schwer gemacht, ein Grund den noch mein britischer Gastgeber M. erwähnte, ist das hierarchische Denken in Bezug auf das Alter. Personen die ein paar Jahre mehr am Buckel haben, sind wie erwähnt in der koreanischen Gesellschaft mehr wert, und das wissen sie nicht nur, sie zeigen es mitunter auch. Bei einem Unternehmen wie Ikea schwer, wo ja das Du-Wort bei allen Angestellten gelten soll. Für Leute die eine Sprache benutzen, die mit fünf verschiedenen Ansprechvariationen aufwartet die je nach Alter und daher Höflichkeitsform zu verwenden ist eine scheinbar unmögliche Sache. Denn die Älteren wollen ja mit Respekt behandelt werden und der beinhaltet die korrekte Ansprache. Manche Unternehmen hätten dadurch den südkoreanischen Markt lieber wieder verlassen.

Die sükoreanische Wirtschaft leidet jedoch zur Zeit wenig darunter. Die Arbeitslosigkeit ist nicht besonders hoch, selbst wenn wenige Personen mit denen ich Kontakt hatte wirklich glücklich in ihrem Job waren. Wer Überstunden macht, weil der Chef ja auch noch im Büro ist und man nicht vor ihm/ihr nachhause geht, dabei zudem nicht besonders produktiv ist, und Urlaub nicht konsumiert, weil das ja als faul gelten könnte, der kann nicht wirklich zufrieden sein. Meine Freundin S. würde gerne mal länger als eine Woche wegfahren, aber da sie Privatstunden gibt, hat sie Angst von ihrem Klientel als unzuverlässig und nicht vertrauenswürdig gesehen zu werden, wenn sie so lange wegbliebe. Eine Bekannte wurde regelmässig von ihrer Vorgesetzten nach Feierabend und an Wochenenden angerufen und sogar während ihres fünftägigen Urlaubs in Europa. Am Sonntag, einen Tag nach der Rückkehr, fuhr sie dann sofort wieder ins Büro, weil die Chefin wollte das ja so… Ein Gesetz soll zuviele Überstunden verbieten, wieviel sich ändern wird zeigt sich noch.

Insgesamt kommt auf Südkorea noch einiges zu. Allein in den vergangenen zwanzig Jahren hat sich das Land extrem verändert und wer weiss, wie es in fünf Jahren hier aussieht. Auf die Entwicklungen darf mit Spannung entgegengeblickt werden. Nicht weniger als zu denen in dem Land, in das ich mich als nächstes begeben werde: China!

NiNa

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